Der Natur die Kunst abgelauscht
von Günter Below (1974)

,Wurzel-Karle" wird er genannt, der Karl Kugele aus Schömberg. Ein Wurzelstudio und ein Wurzel-museum hat er in der Schömberger Schillerstraße. Seit acht Jahren befaßt sich Karl Kugele nun schon mit Wurzeln, mit Wurzeln, die er am Wegrand findet, Wurzeln von Bäumen und Sträuchern, aber auch Aste und von Ameisen zerfressene Holzgebilde zählen zu seinem ,,Werkstoff". Aus der Idee, eine Baumwurzel zu bearbeiten, einen Gegenstand daraus zu formen, aus dieser Idee

ist für Karl Kugele inzwischen Kunst geworden. Kugeles Auge wurde in den vielen Jahren seiner Wurzelarbeit" so geschult1 daß er in den Wurzeln Dinge sieht1 die ein anderer nie erkennen würde.

Waren es vor acht Jahren Rehe, Dinosaurier und andere Fabelwesen, die ihm in den Wurzeln erschienen, so hat sich im Verlaufe der Zeit sein Verständnis und sein Sinn so vervollständigt, daß die früheren Fabelwesen existenten Dingen gewichen sind. Die Wurzeln haben in Karl Kugele ein Kunstverständnis geweckt, das ihn hinführte zu Picasso, Henri Moore und Le Corbusier. In seinem Wohnzimmer und dem ,,Museum" - einem alten Kuhstall - finden sich in Baumwurzeln nachempfundene Prachtbauten berühmter Architekten wie die ,,Kathedrale Barcelona", ,, Profitopolis" und andere zukunftsbezogene Wohnideen wieder. Diese utopischen Wohnvisionen hat Kugele in Wurzeln umgesetzt, ohne diese sonderlich bearbeitet zu haben.

Früher war für Kugele die Wurzel nur ein Stück vom Baum, heute ist sie Sinnbild für Menschen1 Tiere, realistische und abstrakte Dinge. Zu Fuß oder mit dem Fahrrad holt sich der ,,Wurzel-Karle" aus der Waldumgebung Schömbergs die von der Natur geformten Holzgebilde. Zuhause kommen ihm dann die Gedanken, dann wird die Wurzel solange gedreht und geprüft, bis das Auge in ihr das entdeckt hat, was sie darstellt. Für den ,, Wurzelmeister" beinhaltet jede Wurzel einen Grundgedanken, der Bildgedanke kommt beim Betrachten. Manchmal läßt er Kinder mit

den Wurzeln spielen, Kinder haben eine besondere Fantasie und sehen Dinge im ,,Spielzeug", die Kugele sich dann für seine weitere Gestaltung zu eigen macht. Auf jeden Fall ist es immer die Natur, die ein Gebilde schuf, dem Kugele dann Namen und Inhalt verleiht.

Er benutzt kaum das Messer, nur durch Kratzen und mit Holzgrundmitteln bearbeitet er die Wurzel. Veränderungen an der Wurzel entstehen nur zur Verdeutlichung des Bildes - etwa mit Kieselsteinen oder anderem Holz - , immer stellt die Wurzel das Motiv dar. Findet Kugele auf seinen Spaziergängen Wurzeln, die er nicht verwerten kann, dann wirft er diese nicht etwa weg, sondern er ordnet sie säuberlich in die Landschaft, etwa durch anlehnen an einen Baum oder dergleichen. Die Leute, die des Wegs kommen wissen, hier war der ,,Wurzel-Karle". Er betreibt dieses Metier nur aus Hobby, verkaufen tut er keines der prachtvollen Stücke. Auch Aufträge führt er nicht aus. Weil er - Kugele - die Wurzel anders sieht, als ein etwaiger Auftraggeber, ist es unmöglich, daß er das in die Wurzel ,,hineinsieht" was der Auftraggeber sehen möchte.

Etwa dreihundert Exemplare kann man bei ihm besichtigen, alle haben einen Namen. Diese manchmal eigenwilligen Namen sind es, die den Betrachter in der Wurzel das erblicken lassen, was Karl Kugele in ihnen sieht: ,,Der Geiger, die Stillende, Schneemensch, Wanderfalke, Kakadu". Allerlei Vögel und Menschengesichter, Kathedralen und Häuser und dergleichen mehr sind zu bewundern. Neuerdings macht Kugele auch Aphorismen in Schrott ,,Gedankensplitter" nennt er seine Werke. Die Anregung, Holz mit Metall zu verbinden, wurde ihm von einem Kurgast vermittelt. Aus der griechischen Sage, dem Mythos schlechthin, holt er sich die Gedanken und Vorstellungen für diese Gestaltungsform. Er verwendet hierzu nur gefundene Metallstücke: Ofentüren, Kugeln, alte Lampen usw.

Kam mit den Wurzeln die Kunst zu Karl Kugele, dann kam mit der Kunst ein noch größeres Interesse für all die Dinge, die eng mit der Kunst verbunden sind. Die Literatur spielt heute für kugele eine große Rolle. Hier schöpft er das, was er dann wieder in seine Wurzeln hineinlegt. Diese Kunstbeflissenheit führte vielleicht auch dazu, daß er nicht mehr jede gefundene Wurzel verwertet oder verwerten kann, weil er mit der Zeit ,,höhere Ansprüche" an die Natur stellt.

Seine Werkstatt und sein ,,Kuhstallmuseum" waren schon Treffpunkt von Femseh- und Presseleuten. Eine Hobby-Ausstellung in Forchheim wurde durch Wurzeln aus Schömberg zu einer attraktiven Sehenswürdigkeit.

Des "Wurzel-KarIes" Plan ist es, ein wirkliches Museum in Schömberg zu erstellen, um noch mehr Kunstwerke dieser Art schaffen zu können und einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Seine Stücke, die zeitweilig im Schömberger Kurhaus zu sehen sind, rechtfertigen ein ,,Wurzel-museum". Vielleicht bleibt dieser Wunsch Kugeles nicht nur Plan, sondern wird eines Tages Realität.