Beitrag zur Langenbrander Kriegschronik

Juni 1943 bis Sept. 1945 von A. Meyer

Abschrift aus dem Artikel im  Bürgerfreund vom 10. Mai 1991

Bei meinem Antritt als Kriegsstellvertreter für Pfr. Daxer am 9. Juni 1943 war Langenbrand vom Kriege noch wenig beschädigt worden. Am 2. Mai 1942 hatte der Ort einen Bomben-angriff erlebt. Eine große Anzahl Stabbrandbomben fielen auf die Wiesen rings um die Häuser. Einige Dächer wurden auch getroffen (Schöttle, Bott, Eberhardt), doch ist kein Brand entstanden. Zwei schwere Minen fielen bei der Pflanzschule und im Eulenloch. An Gefallenen waren einschl. Kapfenhardt und Salmbach 13 verzeichnet.

Im Spätjahr 1943 wurden in Langenbrand viele Splittergräben gebaut. Ein Alarmdienst wurde im Dorfe eingerichtet, die Verdunklung streng überwacht und immer häufiger rief die Sirene (erst Handsirene, später auf dem Schuldach montiert) in die Luftschutzräume und Keller. Die Angriffe auf Karlsruhe, Mannheim, Heilbronn, Stuttgart etc. konnte man von unserer Bergeshöhe aus gut unterscheiden.

Immer mehr fanden sich Evakuierte ein. Im ,,Ochsen" und ,,Haus Ecker" war im Frühjahr 1943 ein KLV (Kinderlandverschickungslager), etwa 70 - 90 Buben im Alter von 10 bis 14 Jahren. Außer an einigen wenigen Konfirmanden war eine kirchliche Betreuung der Kinder nicht möglich. Später wurde dieses Lager durch eine Oberschule von Stgt.-Untertürkheim (Prof. Steurer) abgelöst. Als aber im Spätjahr 1944 die nahende Front im Westen durch immer lauter werdenden Donner sich ankündigte, holten viele Eltern ihre Kinder weg, so daß das Lager aufgelöst wurde. Mittlerweile wurde Pforzheim durch Fliegerangriffe immer mehr betroffen, so suchte eine Hauptschule von dort in den Räumen Unterkunft.

Am 21. Oktober 1944 viel auf die Höfener Straße nicht weit vom Dorfe eine schwere Mine, die an manchen Häusern im Unterdorf erheblichen Schaden anrichtete.

Unsere Gottesdienste wurden je länger je mehr gestört, mußten unterbrochen werden oder mußten ganz ausfallen. Wir verlegten sie auf eine frühe Morgen- oder auf Abendstunden. Die Konfirmation an Judika 1945 hielt ich in Engelsbrand um dreiviertel 7 Uhr und in Langenbrand um 8.30 Uhr. Während der Einsegnung in Langenbrand war Fliegeralarm, den wir aber diesmal nicht beachteten. Sehr gefährdet waren oft die Beerdigungen, besonders als die Tätigkeit der Jagdbomber immer mehr zunahm. Wir erlebten auf den Friedhöfen oft bange Minuten.

Am 23. Februar 1945, abends 8 Uhr, wurde Pforzheim angegriffen und zerstört. Ungeheure Rauchwolken sah man aufsteigen und nach Osten ziehen. Die schweren Bomber flogen über uns und hinterließen weiße, in sich verschlungene Streifen, es sah alles schauerlich und phantastisch aus, unvergeßlich für uns Langenbrander. Und wie bangten unsere Pforzheimer Lagerkinder für ihre Eltern und Geschwister! In den nächsten Tagen kamen die Berichte von dem ungeheuren Ausmaß der Zerstörungen. Jetzt nach einem halben Jahr spricht man von 40 - 45.000 Toten!) In unsere Gemeinden wurden auch Tote von dort überführt und beerdigt: in Langenbrand 9, Kapfenhardt 8 und in Salmbach 1 Personen. In Langenbrand waren einmal die Überreste von 6 Toten in einem Sarge.

Beim Näherrücken der Front zogen die Evakuierten mehr und mehr ab, auch die Pforzheimer Schule hörte auf. Immer mehr deutsche Soldaten quartierten sich hier ein. Auch unser Gemeindesaal wurde belegt, erst für Bürozwecke, später setzte sich ein Reg. Stab hinein (Art. Rgt.), wobei auch das Amtszimmer und die Registratur belegt wurde. Die Bewohner fingen an, ihre wichtigsten Sachen zu vergraben. Dasselbe machten wir mit der Kirchenkasse, dem Silber- und Zinngerät etc. Die wichtigsten Bücher waren schon lange sichergestellt, z. T. im Bunker an der Waldrennacher Straße.

Am Ostermontagnachmittag (2. April) wurden alle Bewohner zu einer Besprechung aufs Rathaus befohlen zwecks Evakuierung. Alle waren sich einig: wir bleiben. Niemand möchte gerne sein Leben im Straßengraben beschließen. Während der Besprechung griffen ,,Jako's" die Kapfenhardter Straße an und beschädigten mehrere Häuser (Schnürle, Bodamer etc.), keine Verletzungen.

In den nächsten Tagen jagten sich wilde Gerüchte. Die Zeitungen blieben aus, auch der elektrische Strom, somit auch die Radionachrichten. Man hört vom Marsch nach Neuenbürg, Kämpfe in Thüringen, die Russen in Wien, in Heilbronn Straßenkämpfe usw.. Einzelne Bauern müssen mit ihren Pferden Fuhrdienste für die Wehrmacht leisten, kommen aber bald wieder zurück, z.T. ohne Pferde. Dem Lärm an den Fronten nach zu schließen sind wir in einem Halbkreis eingeschlossen. Am Dienstag (10.4.) hört man, der Feind drücke von Conweiler nach Höfen. Alles arbeitet noch fleißig auf den Feldern soweit die Fliegertätigkeit es gestattet. Vor allem steckt man Kartoffeln, damit die Saatkartoffeln wenigstens gerettet seien. Herrliches Frühlingswetter, die Kirschbäume fangen an zu blühen. Schömberg versieht sich reichlich mit ,,Tb-Tafeln". Alles in spannender Erwartung der kommenden Dinge.

Am 12. April gegen Abend Beschuß durch etwa 30-40 Phosphorgranaten. Die ersten fielen auf die Wiesen zum Eulenloch, doch bald liegen sie mitten im Dorf. Ochners, Walz's und Kaufmann Reules Haus brennt. In letzterem stehen etwa 30 Leute, um ihre letzten Einkäufe zu machen. Neben dem Pfarrhaus schlägt es ein, ohne zu zünden. Auch Oehlschlägers Scheune steht in Flammen. Die Feuerwehr und die Einwohnerschaft tritt zum Löschen an. Der Wasservorrat war bald zu Ende. Mit Jauchewagen und Eimern wird Wasser und Jauche aus Brunnen und Gruben beigeschafft. Gegen Mitternacht ist die Arbeit getan. Alle Wohnräume der genannten Häuser blieben erhalten, nur die Scheunen brannten ab. Die Beschießung forderte kein Menschenleben, doch beim Löschen erlitt Hofbauer Gustav Wörner einen schweren Schädelbruch, der bis heute (27. Sept.) noch nicht ganz geheilt ist.

Schwerere Verluste brachte der 13. April. Nach 10 Uhr vormittags setzte Artilleriebeschuß ein, aus Richtung jenseits des Enztales. Etwa 70 bis 90 Schuß fielen. Bald jagte die Nachricht durch das Dort daß im Hause Kleile an der Höfener Straße viele getroffen worden seien! Bei der gleich einsetzenden Bergungsarbeit stellte es sich heraus, daß alle 14 Personen, die dort im Keller saßen, getötet wurden. Eine einzige schwere Granate! Sie hatte verschiedene Wände durchschlagen und krepierte erst im Luftschutzraum. Wir beschlossen, in Anbetracht der Nähe des Feindes und des heißen Wetters sie alle sofort zu beerdigen. Etwa drei Stunden später legten wir die 8 Einwohner in ein Grab nebeneinander. Es war dies: Kathrine Maisenbacher, Hebamme; Klara Kleile, geb. Maisenbacher; Hilde Kleile (Großmutter, Mutter und Kind!); Eugen Kohlstetter; Kathr. Remtschler; Rosa Gross; Hermine Loser und Rosa Roll. Letztere drei waren Verwandte der Familie Kleile (aus Durlach). Die drei anderen Opfer waren drei deutsche Soldaten: Gefr. Rolof, Ogefr. Kehmscherper und Uoffz. Lohs. Diese wurden gleich anschließend beigesetzt und zwar in je ein Grab an der östl. Einfriedigung. Eine Gruppe Soldaten erwies die letzte Ehre, ein Hauptmann hielt eine Ansprache nach der Einsegnung. Anschließend hatte ich noch einige Opfer der Fliegerbomben in Grunbach zu beerdigen.

Der Feind war inzwischen bis an den 2. Schleifweg an der Waldrennacher Straße vorgedrungen. Manche Bauern hatten im Eulenloch für sich und ihr Vieh Hütten gebaut, andere gingen in den Bunker an der Grunbacher Straße oder verbargen sich sonstwo im Walde. Die Zurückgebliebenen schliefen in den Kellern.

Am 14. April drang der Feind bis an den Waldrand und gegen das Dorf vor. Von Kapfenhardt her waren im Laufe des Vormittags einige deutsche Panzer zur Verstärkung gekommen, die sich im Dorfe aufstellten. Soldaten mit Panzerfäusten lauerten hinter den Häusern. Ein feindlicher Panzer wurde hinter Reules Sägewerk abgeschossen. Eine etwa 2 - 3-stündige Stille folgte. Wir wußten, es ist Stille vor dem Sturm. Der Feind baute sich offenbar jetzt in breiter Front auf. Von 1/2 3 bis 1/2 4 Uhr feuerte es aus allen Rohren. Das Dorf brennt an vielen Stellen. Pulverdampf quillt durch die Ritzen unserer Fensterläden herein. Die Unseren zogen sich jetzt scheinbar zurück. Das Schießen verstummt mehr und mehr. Man hört fremde Laute. Tritte nähern sich unserer Tür. Ich gehe vor die Tür. Deutsche Soldaten hier? ,,No", antworte ich dem schwerbewaffneten Franzosen. Er geht durch die Räume und geht wieder. Andere kommen und wieder andere. Die Untersuchung dehnt sich auch auf andere Sachen aus. Panzer rollen an, viele Panzer! Sie fahren Richtung Schömberg. Andere fahren in die Wiesen. Vieh treibt herrenlos herum. Manche wagen, aus ihren brennenden Häusern ihre Sachen herauszuretten. Wieder Haussuchung. Neue Truppen kommen und beziehen Wohnung. Hühner und Gänse werden gerupft, Hasen abgezogen, in den Küchen prasselt das Feuer. Die brennenden Häuser beleuchten das Dorf. Die Anwesen von Bürgermeister Reule, Metzger Wiedenmann, der Bauern Kober, Wankmül1er, Walz, Grosshans und Eberhardt am Walde fallen in Asche. Gerettet wurde wenig, doch das Vieh wurde meist gerettet. Im Dorfe wimmelt es wie in einem Ameisenhaufen. Bisweilen schießt die deutsche Artillerie herein.

Die erste Nacht wird für viele zu einer Schreckensnacht, auch die kommenden Tage sind für viele recht schwer. Divisionen marschieren oder fahren durch. Panzer zu Hunderten, Fahrzeuge zu Tausenden, Marokkaner mit Maultieren usw.. Der Strom will in den nächsten Tagen kaum abreißen.

Am 15. April vormittags sollen Fotos, Telefon, Fernstecher auf demRathaus abgegeben werden. Der Betrieb in den Häusern geht weiter. Auch im Pfarrhaus geht es lebhaft zu. Man trifft sich auf der Straße und wechselt einige Worte, man freut sich, einander noch zu sehen! Am Dienstag (17.4.) Beerdigung zweier unbekannter deutscher Soldaten.

Einige Tage später wurden weitere vier deutsche Soldaten aus dem Walde geholt und auf dem Friedhof beerdigt. Diesmal unter starker Beteiligung der Bevölkerung.

Sobald es ging, wurde aufgeräumt. Man überblickt den Schaden. Wie zerzaust sieht unser Dorf aus! Dächer werden gedeckt, Löcher zugenagelt, Schutt weggeräumt. Allmählich hört man von den Nachbarorten. Dort ist es meist besser gegangen. Wir Langenbrander dürfen die erste Woche den Ort nicht verlassen. Viele wandern von Haus zu Haus, um fehlende Sachen zu suchen. Zuletzt gab es im Rathaus noch eine Ausstellung herrenloser Sachen und mancher erhielt dort wieder sein Eigentum zurück.

Die Filialorte Kapfenhardt und Salmbach haben kaum gelitten, dagegen wurden die Orte Waldrennach und Bieselsberg auch hart mitgenommen.

Den ersten Gottesdienst hatten wir am 29. April. Die Kirche blieb uns erhalten und wir nahmen sie neu aus Gottes Hand. Sie hat zwar auch drei Treffer, wobei der Turm am meisten litt. Auch die Einfriedung des Kirchhofs hat gelitten. Was die Gemeindeglieder materiell verloren, war z. T. recht erheblich. Doch erheben sich aus den Brandruinen schon wieder neue Häuser. Schwerer zu heilen sind die personellen und seelischen Schäden. Wohl kehrten im Laufe des Sommers mancher Vater, Sohn oder Bruder in die Heimat zurück und wir freuten uns von Herzen über jeden einzelnen. Aber auf viele andere wird noch gewartet und manche Vermißten und Verschollenen werden nicht mehr heimkehren. Neben der Kirche stehen jetzt 19 Birkenkreuze. So viel sind's bis jetzt Langenbrander Gefallene. In Kapfenhardt sind es 9, in Salmbach 5. Wieviel Leid, Kummer und Tränen bergen diese Zahlen in sich! Aber auch wieviel Trost aus Gottes Wort durften wir bei unseren Trauerfeiern immer wieder empfangen. Und wir dürfen und wollen es festhalten, daß unter uns die ewigen Arme unseres Gottes sind, wir dürfen glauben an die ewigen Gnadenabsichten Gottes mit uns Menschenkindern. Er hat uns nicht vergessen und will uns durch all dies Leid segnen und zubereiten für die ewige Herrlichkeit. Das ist sein hl. und gnädiger Wille über uns. ,,Alle Leiden dieser Zeit, bauen zu der Herrlichkeit, eine selge Brücke!" ,,Drum aufwärts fest den Blick gewandt, und vorwärts fest den Schritt, wir gehn an unsres Meisters Hand, und - unser Herr geht mit."